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Abmahnwelle wegen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG): Wie sich Unternehmen jetzt schützen sollten

Rechtsanwalt Sascha Kugler, www.alchimedus-legal.de

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Seit Juni 2025 verschickt die Kanzlei CLAIM Rechtsanwalts GmbH massenhaft Abmahnungen wegen angeblicher Verstöße gegen das BFSG. Viele Schreiben sind zweifelhaft – doch Unternehmen sollten vorbereitet sein.

1. Hintergrund: Das neue Barrierefreiheitsstärkungsgesetz

Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) hat Deutschland die EU-Richtlinie 2019/882 (European Accessibility Act) in nationales Recht umgesetzt. Das Ziel: Digitale Angebote, Produkte und Dienstleistungen sollen für alle Menschen – insbesondere für Personen mit Behinderungen – zugänglich sein.

Seit dem 28. Juni 2025 gilt das Gesetz verbindlich für Anbieter, die ihre Leistungen online oder digital bereitstellen. Betroffen sind vor allem Online-Händler, Dienstleister, Banken, Versicherer und Plattformbetreiber, die mit Verbrauchern Verträge über Websites oder Apps abschließen.

2. Der aktuelle Fall: Abmahnungen durch die CLAIM Rechtsanwalts GmbH

Kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes wurde bekannt, dass die CLAIM Rechtsanwalts GmbH aus Düsseldorf in größerem Umfang Abmahnungen wegen angeblicher BFSG-Verstöße verschickt. Auftraggeber ist nach Medienberichten eine Einzelperson, die unter der Domain die-website-experten.de auftritt.

In den Schreiben behauptet die Kanzlei, die jeweiligen Unternehmenswebsites seien nicht barrierefrei gestaltet und verstießen damit gegen das BFSG. Gleichzeitig wird eine Zahlung von rund 595 Euro gefordert – verbunden mit der Aufforderung, die Website innerhalb kurzer Frist barrierefrei zu gestalten. Einige Schreiben enthalten auch den Hinweis, man könne „durch Zahlung und Anerkennung der Verstöße“ eine weitere rechtliche Auseinandersetzung vermeiden. Juristen sehen hierin einen möglichen Versuch, aus der neuen Rechtslage ein standardisiertes Geschäftsmodell zu entwickeln.

3. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abmahnungen

Fachanwälte für IT- und Wettbewerbsrecht äußern erhebliche Zweifel an der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit dieser Abmahnungen. Häufig fehlt eine konkrete Beschreibung, welche Funktionen oder Inhalte der betroffenen Website nicht barrierefrei seien.
Ebenso wenig ist in vielen Fällen ein Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Abmahner und dem abgemahnten Unternehmen ersichtlich – eine zwingende Voraussetzung für Abmahnungen nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Zudem ist problematisch, dass in einigen Schreiben ein pauschaler Geldbetrag gefordert wird, ohne dass eine klassische Unterlassungserklärung beigefügt ist. Nach Einschätzung vieler Experten handelt es sich dabei eher um Zahlungsaufforderungen ohne klare rechtliche Grundlage, was den Verdacht des Abmahnmissbrauchs verstärkt.

4. Was das BFSG konkret verlangt

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz verpflichtet Unternehmen, digitale Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten. Das betrifft insbesondere Online-Angebote, über die Verbraucherverträge geschlossen werden können – etwa:

  • Online-Shops, Bestell- und Buchungssysteme
  • Zahlungs- und Login-Prozesse
  • Mobile Apps mit interaktiven oder kaufbezogenen Funktionen

Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz unter zwei Millionen Euro sind von den Pflichten teilweise ausgenommen.
Für alle anderen gilt: Die Gestaltung muss sich an den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG 2.1) orientieren – also z. B. lesbare Schriftgrößen, ausreichende Kontraste, korrekte Alternativtexte für Bilder und eine vollumfängliche Tastaturbedienbarkeit.

5. So sollten Unternehmen bei einer Abmahnung reagieren

Wer eine BFSG-Abmahnung erhält, sollte besonnen und strukturiert vorgehen:

  1. Nichts vorschnell unterschreiben oder zahlen.
    Viele der derzeit versandten Abmahnungen sind rechtlich angreifbar und enthalten formale Mängel. Eine unüberlegte Zahlung kann als Schuldeingeständnis gewertet werden.
  2. Abmahnung durch Fachanwalt prüfen lassen.
    Ein Anwalt für Wettbewerbs- oder IT-Recht kann beurteilen, ob die Abmahnung berechtigt ist, ob formale Voraussetzungen fehlen oder ob es sich um einen rechtsmissbräuchlichen Versuch handelt.
  3. Konkretisierung verlangen.
    Der Abmahner muss genau darlegen, welche Elemente Ihrer Website gegen die Barrierefreiheitsanforderungen verstoßen. Fehlt eine solche Konkretisierung, ist die Abmahnung unzulässig.
  4. Wettbewerbsverhältnis prüfen.
    Nur wenn der Abmahner in einem echten Wettbewerbsverhältnis zu Ihnen steht, kann er Ansprüche geltend machen. Das ist bei vielen aktuellen Fällen zweifelhaft.
  5. Dokumentation eigener Maßnahmen.
    Unternehmen sollten nachweisen können, dass sie bereits Maßnahmen zur Barrierefreiheit eingeleitet oder umgesetzt haben – etwa durch Prüfberichte, technische Dokumentationen oder interne Richtlinien.

6. Prävention: Barrierefreiheit als unternehmerische Chance

Auch wenn viele der aktuellen Abmahnungen rechtlich wacklig sind, sollte Barrierefreiheit nicht unterschätzt werden. Sie ist nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung, sondern auch ein Zeichen für Qualität und Inklusion.
Eine barrierearme Website verbessert die Nutzerfreundlichkeit, stärkt die Suchmaschinenoptimierung und öffnet den Zugang zu einer breiteren Zielgruppe. Unternehmen, die frühzeitig in digitale Barrierefreiheit investieren, vermeiden nicht nur Abmahnungen, sondern profitieren langfristig durch höhere Reichweite und Kundenzufriedenheit.

7. Fazit: Jetzt handeln – aber mit Augenmaß

Die Abmahnungen der CLAIM Rechtsanwalts GmbH markieren den Auftakt einer neuen Phase digitaler Regulierung. Noch ist vieles juristisch ungeklärt, und etliche der versandten Schreiben sind rechtlich fragwürdig. Dennoch zeigen sie: Die Anforderungen des BFSG sind ernst zu nehmen.

Unternehmen sollten jetzt ihre Websites prüfen, rechtliche Beratung einholen und technische Anpassungen dokumentieren. So lässt sich nicht nur eine unberechtigte Abmahnung abwehren – sondern auch das Risiko echter Verstöße dauerhaft vermeiden.

Unser Tipp:
Lassen Sie Ihre Website von einem spezialisierten Rechtsanwalt oder Datenschutzbeauftragten auf BFSG-Konformität prüfen. Eine dokumentierte Accessibility-Strategie schützt Sie vor Abmahnungen und zeigt, dass Ihr Unternehmen digitale Verantwortung übernimmt.

� Website: Alchimedus Legal

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